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Protagonisteninterview mit Aiden aus "Die Blüten meiner Schuld" von Paola Baldin

Michaela: Hallo Aiden, auch dich möchte ich kurz bitten dich meinen Followern vorzustellen.

Aiden: Hallo, ich bin Aiden Kaufmann, 33 Jahre alt und lebe momentan in einer psychiatrischen Einrichtung, zum Schutz vor mir selbst und der Verarbeitung eines Traumatas. Es war nicht meine erste Wahl, aber es war notwendig. Ohnehin gab es nichts anderes mehr für mich, zu dem ich zurück kommen konnte. Es hilft mir hier zu sein, abgeschottet von der Natur, die mich in jeder Form an Elise erinnert. Hier kann ich sein wie ich möchte, muss mich nicht in den verhassten Alltag einfinden, der mir alles genommen hatte. Es ist in Ordnung hier zu sein. Sie haben mir eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, gemischt mit einer Depression, die ich schon aus früheren Tagen kenne. Doch Begriffe bedeuten mir nichts, man kann Menschen nicht in Schubladen stecken, denn jeder erlebt seine Krankheiten auf seine eigene Weise.
Es gibt nicht viel zu mir zu sagen. Ich war schon immer in mich verschlossen, ging nicht gerne auf große Partys und fühlte mich immerzu fehl am Platz. Dafür bin ich leidenschaftlicher Zyniker und bringe wenigstens damit einige zum Lachen. Meine Hobbies sind daher auch sehr überschaubar: Musik, Spaziergänge und neuerdings habe ich auch das Zeichnen für mich entdeckt. Ich war 21 Jahre alt, als ich mit Elise eine Beziehung eingegangen bin. Ich war 28, als – die Geschichte steht bereits geschrieben. Wenn ihr sie erfahren wollt, dann begleitet mich auf meiner Reise in „Die Blüten meiner Schuld“.

Michaela: Wie würdest du dein Leben beschreiben bevor du Elise kennengelernt hast?

 

Aiden:  Mein Leben war nichts Besonderes, eins wie jedes andere, mit dem kleinen Unterschied, dass ich das Gefühl hatte, mehr Pech zu haben als meine Mitmenschen. Ständig musste es mich treffen. Vielleicht war ich deshalb immer so griesgrämig. Aber kann man es mir verübeln, wenn ein Pech das andere verfolgt? Ich kann bis heute nicht verstehen, wie ich das Glück haben konnte, Elise zu treffen und dass sie sich sogar in mich verliebt. Jedenfalls fühlte ich mich vor ihr sehr alleine. Ja, ich hatte Liam als besten Freund und er hat mich so einiges Mal aus meinem Loch geholt wie damals am Tag des Jahrmarktes, am Tag der Erkenntnis. Aber manchmal fühlte ich mich trotz ihm, trotz vielen Menschen um mich herum einfach nur einsam. Ich fühlte mich von niemandem verstanden oder wahrgenommen, als passte ich einfach nicht hinein. Dafür gab ich einige ganze Zeit lang meinem Vater die Schuld. Hätte er sich mehr um mich gekümmert, wäre er liebevoller gewesen nach dem Tod meiner Mutter – vielleicht hätte ich mich anders entwickelt, immerhin war es eine wichtige Zeit, in der ich ihn gebraucht hatte. Stattdessen ließ er mich mit dem Elternhaus und all den Kosten alleine. Ich hatte mir immer mehr Liebe von ihm gewünscht, aber manche Menschen sind einfach nicht dazu geboren.

 

Michaela: Und wie würdest du es beschreiben nachdem du sie kennengelernt hast?

 

Aiden: Elise. Ihre Haare, die nach Vanille dufteten, die kleinen Grübchen, wenn sie lächelte. Man konnte sich in ihren Augen einfach nur verlieren. So habe ich nicht nur am Anfang unserer Beziehung geschwärmt, nein, selbst nach Jahren erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich sie einfach nur musterte, neu entdeckte und neu liebte. Die graue Wolke, die mein Leben lang über mir hang, lichtete sich bei ihrem Anblick am Jahrmarkt, und mit jedem Tag, den wir zusammen verbrachten, zogen sie weiter, ließen die grelle Sonne hindurch. Ich fühlte, was ich zuvor noch nie gefühlt hatte. Alles ergab plötzlich wieder einen Sinn und ich freute mich wie seit Langem nicht mehr, jeden neuen Tag zu begrüßen. Nur dank ihr. Es war, als hätte Elise all die Zeit in meinem Leben gefehlt. Dass ich deshalb so düster durch die Welt irrte, weil ich meinen Platz erst bei ihr finden musste. Sie steckte mich mit ihrer Lebenslust und Freude an. Ihr hättet ihr Lachen sehen müssen, da konnte man nicht anders als einzustimmen, sie lachte so furchtbar gerne.
Ihr Lachen – entschuldigt, aber es ist immer noch so frisch, trotz der Zeit, die vergangen ist. Es tut weh an unsere glücklichen Zeiten zu denken, so nah und doch so fern. Ich fürchte, es wird für immer weh tun.

Michaela: Wie hast du dir deine Zukunft mit Elise vorgestellt?

Aiden: Damals war ich glücklich, wenn Liam mich in meinem dunklen Zimmer alleine gelassen und ich meine Ruhe hatte. Einfach Musik an, Rollläden runter und bloß nicht über die Zukunft nachdenken. Aber als sie in mein Leben kam, hatte sich alles verändert und meine Zukunft war plötzlich existent wie nie zuvor. Ich wollte nichts als in ihrer Nähe zu sein, mit ihr die Welt bestreiten in unserem kleinen gemütlichen Kokon. Ich wiegte mich in der Sicherheit, an ihrer Seite zu sein, für immer. Ich dachte, dass egal was kommen würde, wir immer einander haben würden. In unserem kleinen Häuschen, den zwitschernden Vögeln, dem riesigen blauen Baum im Garten und den langweiligen Sonntagen – oh wie wir diese Sonntage gemeinsam hassten – und natürlich zusammen mit unserer kleinen Tochter, vielleicht unserer Tochter und unserem Sohn? Ich dachte, wir würden die Welt als kleine Familie entdecken, dem Alltagstrott des Lebens entgehen und einfach glücklich sein.

Ich hätte es mehr schätzen sollen. Der Alltagstrott hatte mich eingeholt, ohne dass ich es gemerkt hatte und jetzt muss ich dafür büßen.

Michaela: Nachdem du von deiner Krankheit erfahren hast, was ging in dir vor?

 

Aiden: Ich war schon vor Elise an Depressionen erkrankt ohne es zu wissen. Auch heute ändert die Diagnose nichts daran, denn ob man sie beim Namen nennt oder nicht – sie ist existent. Für PTBS galt dann natürlich das gleiche. Es sind nur Begriffe, aber die Krankheit an für sich zerrt trotzdem weiterhin an mir. Ich kann mich mit den Diagnosen einfach nicht anfreunden, mich als psychisch krank zu bezeichnen, denn es ist ja nicht, als ob ich jetzt ein ganz anderer Mensch wäre. Ich bin immer noch ich selbst und bin mir meiner Gefühlslage bewusst. Viele starren mich an, wenn sie es erfahren, und reden mit mir, als wäre ich ein völlig anderer Mensch. Es nervt. Vor allem bei Liam merke ich es immer wieder. Ein Begriff, eine Diagnose macht mich nicht zu jemand Fremden.

 

Michaela: Bist du nun an einem Punkt angekommen an dem du deine Krankheit akzeptierst?

 

Aiden: In gewisser Hinsicht schon. Wie ich eben schon sagte, sind es für mich nur Begrifflichkeiten, die absolut keinen Einfluss auf irgendetwas haben. Ich bin immer noch wie ich war, aber ich akzeptiere, dass ich in meiner Situation nicht glücklich bin, dass ich verletzt bin. Ich gebe mir die Schuld für viele Dinge, die geschehen sind, mehr als ich sollte, das würde Elise mir genauso einreden wollen wie die Ärzte. Aber ich weiß dennoch, dass ich von meinen Erlebnissen geprägt bin, wie ein Schaf, das von Wölfen gerissen wurde und kurz vor dem erlösenden Tod zurück gelassen wurde – blutend und nicht fähig selbst aufzustehen. Ich bin in dieser Psychiatrie, um meine Wunden zu lecken, nur um sie dann schließen zu können. Die Narben dagegen werden immer bleiben, wie auch der Schmerz. Es gibt nur zwei Optionen für mich: Zu sterben oder mein Leben weiterzuführen, Elise zuliebe. Wer weiß, was mich im Tod erwartet, also kann ich das eine Leben, das ich habe, nicht unnötig wegwerfen. Vielleicht gibt es einen Grund noch hier zu sein. Vielleicht ergebe ich eines Tages noch einen Sinn. Das habe ich in meinen letzten Therapiesitzungen realisiert. Therapiesitzungen – ich kann mich nicht mit den Begriffen anfreunden, es fühlt sich falsch an, es so zu nennen.

 

Michaela: Wie geht es dir heute, nach alldem was dir widerfahren ist?

 

Aiden: Es ist einige Zeit, ein paar Jahre, vergangen. Aber es fühlt sich alles noch frisch an, irgendwie auch unreal. Meine Träume quälen mich genauso wie meine Erinnerungen. Ich tue mich schwer, überhaupt zu existieren, an manchen Tagen wünschte ich, ich wäre einfach nicht mehr und ich mache mir schwere Vorwürfe. Ich weiß nicht, ob sich das jemals ändert, aber das ist meine Buße, ich muss damit leben und es gibt einen Grund, dass ich lebe. Elise hätte nicht gewollt, dass ich mich aufgebe. Solange sie in meinem Herzen ist, existiert sie weiterhin mit mir auf dieser Welt und die Geschichte muss erzählt werden, muss anderen die Augen über ihr eigenes Leben öffnen.
Man sollte nichts für selbstverständlich nehmen, denn innerhalb eines Wimpernschlags kann dir alles entrissen werden, was dich all die Zeit am Leben gehalten hatte. Es ist wichtig, seine Emotionen im Griff zu haben, so schwer das auch manchmal fällt, denn sie können dich und alles um dich herum zerstören.
Ich wünschte, sie wäre noch bei mir. Ich wünschte es mir so sehr, aber egal was ich sage oder denke, die Zeit kann nicht zurück gedreht werden. Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich fühle. Manchmal fühle ich gar nichts mehr und im nächsten Moment prescht alles auf mich ein. Ich darf nicht daran denken, was hätte sein können, wenn – ich darf nicht darüber nachdenken.
Ich konnte nicht mehr in unser Haus zurück, nicht nach allem, was geschehen war. Ich habe es wirklich versucht, aber der Anblick des kahlen Baumes im Garten ließ mich jedes Mal zu Boden sinken. Ich kann einfach nicht zurück. Ich höre ihr Flüstern durch die brüchigen Äste, durch die wir einst geklettert sind. Ich höre ihr Lachen mit jeder vorbei ziehenden Brise. Ich kann nicht zurück – noch nicht.

 

Michaela: Hast du noch Kontakt zu deinem besten Freund?

 

Aiden: Liam – schwieriges Thema. Liam kommt mich oft besuchen, aber es ist einfach zu viel passiert, dass es sein kann wie früher. Ich kann ihn nicht ansehen ohne die Bilder in meinem Kopf aufblitzen zu sehen, ob nun real oder nicht. Das Gefühl, das ich mir zu ihm gebildet hatte, blieb an ihm haften. Aber er kann mir auch nicht helfen. Er war noch nie ein Mensch, der tiefgründig ist oder über Gefühle redet. Er genießt sein Leben in vollen Zügen, stupide und glücklich. Manchmal beneide ich ihn dafür, die Art Dinge locker zu nehmen, an nichts denken zu müssen, oder sich Sorgen zu machen, in den Tag hinein zu leben. Und dann verwerfe ich sogleich den Gedanken und erinnere mich an Lisa Garner, über unser Gespräch, das womöglich nie existierte und es doch auf seine Weise tat. Es ist es wert. Lieber leide ich den Rest meines Lebens, als stupide in den Tag zu leben und niemals die Gefühle zu spüren, die Elise in mir ausgelöst hatte. Nur eine Sekunde mit ihr ist mir ein Leben in Qual wert. Sie hatte etwas anderes verdient und ich wünschte, ich hätte ihr Schicksal nicht beeinflusst. Ich kann es nicht rückgängig machen, aber ihr habt die Chance, die Dinge grade zu biegen. Sagt euren Lieben, dass ihr sie liebt und froh seid, sie in eurem Leben zu wissen. Streichelt euer Haustier ein Mal mehr, schließt eure Augen unter der wärmenden Sonne, egal ob es blöd aussieht oder nicht. Und entschuldigt euch bei den Menschen, denen ihr Leid angetan habt oder redet mit denjenigen, die euch verletzt haben, vielleicht finden sie einfach nicht den Mut zu euch zu kommen. Biegt es grade, denn eines Tages wird es vielleicht zu spät sein und man wird es ein Leben lang bereuen.
Es sei denn ihr seid wie Liam. Dann gilt das nicht, denn nach allem was geschehen ist, versteht er mich nicht, versteht nicht die Konsequenzen davon, was geschehen ist. Liam war ein Parasit und er wird leider immer einer bleiben. Manchmal sind beste Freunde auf Lebenszeit eben doch nur ein kleines Blatt, das vom kleinsten Wind hinfort geweht wird, ohne eine Spur davon, dass es jemals existiert hatte.

 

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Vielen lieben Dank Aiden, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Ich wünsche dir für die Zukunft alles alles Gute!

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